ketzerschriften

hier versammele ich beiträge zu aktuellen öffentlich diskutierten themen, welche aufgrund ihrer politischen brisanz und opposition zur political correctness von den redaktionen und foren in tageszeitungen verworfen wurden. 

zur armenienfrage:

in frankreich wurde dieser tage ein gesetz verabschiedet, welches die leugnung des angeblichen völkermordes der jungtürkischen regierung an den armeniern unter strafe stellt. indes wurde dieser sogen. völkermord noch durch kein rechtliches verfahren festgestellt, es wurde noch nicht einmal anklage erhoben und eine ganze reihe von archiven sind den historikern noch gar nicht zugänglich. die um sich greifende politisch motivierte festlegung via gesetzgebung auf eine offiziell erlaubte historische konsenslinie durch momentane parlamentarische mehrheiten installiert einen primat der politik über die wissenschaft und untergräbt die ergebnisoffene historische forschung, die freie meinungsbildung und den unabhängigen erkenntnisprozeß gleichermaßen. ihre widerspruchslose hinnahme durch die gleich- und ruhiggestellte öffentlichkeit der postmodernen kommunikationsgesellschaft zeigt eindrucksvoll auf, wie weit wir bereits beim übergang der foucaultschen disziplinar- zur deleuzschen kontrollgesellschaft (verinnerlichte kontrolle, d.h. selbstkontrolle im sinne des korrekten mainstreams) fortgeschritten sind. im kontext der literatur könnte man auch von einer transformation der vision orwells in jene von huxley sprechen. unter den bedingungen der fundamentalpolitisierung der massen (h.-p. ullmann) einer sich medial konstituierenden wohlstandsgesellschaft stehen am ende dieser demokratischen zwangsharmonisierung des denkens und der politischen homogenisierung (carl schmitt) weiter gesellschaftlicher räume die kriminalisierung des abweichenden und die entfremdung von den begriffen des politischen und des historischen schlechthin.

(2012)

zum "beschneidungsurteil":

an den zahlreichen leserbeiträgen zum "kölner beschneidungsurteil" besticht u.a. die tatsache, daß dieselben - ganz im gegensatz zu den beiträgen von politik und religiösen lobbyisten - vollkommen unaufgeregt und unemotional angelegt und in rationaler argumentation ohne überspannte und unsachliche rückgriffe auf die historie abgefasst sind. die foren und kommentarbereiche zahlreicher tageszeitungen und deren onlineausgaben legten bisher beeindruckend zeugnis ab von jener tiefen kluft, welche mittlerweile in deutschland große teile der vernunftbegabten bevölkerung von den parteipolitikern, den religiösen und politischen lobbyisten und beträchtlichen teilen der journaille als einer selbsternannten und selbstermächtigten "informationselite" in der wahrnehmung gesellschaftlicher lebenswirklichkeiten und in den prinzipien rationalen politischen denkens scheidet. in bezug auf das richterliche urteil, die anwendung von verfassungsnormen und die daraus sich ableitende rechtgüterabwägung mag man den kontrahenten durchaus erwägenswerte argumente für ihre jeweiligen standpunkte zugestehen - hier sind gerichte, juristen und notfalls der gesetzgeber gefordert. indes berührt die sache auch eine der politischen grundfragen unserer zeit: wollen wir weiterhin auf dem weg der aufklärung als dem noch "unvollendeten projekt der moderne" (habermas), d.h. der säkularisierung von staat und gesellschaft und in ausrichtung auf rationalität, wissenschaft und vernunftgestützter autonomie des individuums voranschreiten, oder wollen wir angesichts lautstarker und medienwirksamer auftritte religiöser interessengemeinschaften zunehmend positionen des irrationalismus beziehen, um einer geistigen und politischen auseinandersetzung unter den schlagworten von "toleranz", "freier religionsausübung", "multikulturalismus" und "gesellschaftlichem frieden" auszuweichen? neben konservativen und liberalen hat sich in sachen des vorauseilenden gehorsams gegenüber dem religiösen lobbyismus leider auch die verbürgerlichte linke aus gründen der opportunität immer wieder hervorgetan. deshalb bleibt zu befürchten, daß im dienste einer politischen anbiederung und rechtsverwässerung die positionen der rationalität und säkularität zunehmend verlassen werden - hierzu indes lehrt die historische erfahrung, daß die stellung von minderheiten und durchaus auch von mehrheiten immer dann gefährdet war, wenn das projekt der europäischen aufklärung staatlicherseits in frage gestellt wurde.

(juli 2012)

zum tode von muammar al-gadhafi:

der verwundete gadhafi wurde wohl vor ort liquidiert. mit seiner entscheidung, im lande zu verbleiben, hat er seinen tod durch einen gewaltakt bewußt in kauf genommen. durch waffengewalt im kampf um die macht niedergestreckt zu werden, ist nicht das schlechteste ende für einen ehemaligen offizier und langjährigen gewaltherrscher, auch wenn sich der vollzug weniger heroisch gestaltete, als von gadhafi angekündigt. indes verliert gadhafi auf keinem der zugänglichen videos - wie von westlichen journalisten zum zwecke der damnatio memoriea behauptet - die contenance. augenzeugen beschreiben ihn als apathisch und gleichgültig - von einem verwundeten 69jährigen ist nach menschlichem ermessen keine gefährliche nahkampfaktion mehr zu erwarten. auf den letzten bildern, die ihn lebend zeigen, macht er nicht den eindruck eines furchtsamen menschen, eher wirkt er erschöpft und erstaunt über die despektierliche behandlung, welche ihm durch seine "landeskinder" zuteil wird - ein alter mann, der wohl schon lange an realitätsverlust litt und nach ersten aussagen seiner letzten getreuen die kriegführung bereitwillig seinen söhnen überlassen hatte. man mag zu gadhafi und seinen taten stehen wie man will, unleugbar bleibt, daß er von einem enthemmten mob mißhandelt und gelyncht wurde. befremdlich hierbei ist die tatsache, daß kein offizier, befehlshabender oder regierungsoffizieller unserer neuen demokratischen verhandlungspartner zur wiederherstellung rechtlicher verhältnisse und zur einhaltung der genfer konventionen eingegriffen hat. von westlichen politikern haben wir zur misshandlung und lynchjustiz - offensichtlich auch seiner begleiter, seines sohnes und zahlreicher anhänger in sirte - noch kein klärendes wort vernommen. obama kritisierte lediglich die leichenschändung. wie schon so oft werden die westlichen politiker und viele journalisten ihren hehren moralischen, rechtlichen und politischen idealen nicht gerecht und belassen es bezüglich der physischen vernichtung ihrer gegner bei einem apodiktischen "c' est la guerre" - übrigens eines krieges, wie er in diesem ausmaß erst durch das eingreifen des westens und der nato möglich wurde.

(im oktober 2011)

zum urteil in der sache dominik brunner:

die unselige, inzwischen wieder versandete diskussion um das sarrazinbuch hat anfang des monats die urteilssprechung im falle des todes von dominik brunner aus der öffentlichen aufmerksamkeit verdrängt. das verfahren und der urteilsspruch standen bei näherer betrachtung unter einer unangemessenen überhöhung der durchaus lobenswerten tat herrn brunners, den vermeintlich bedrängten jugendlichen beizustehen. indes haben m.e. die anwälte zurecht revision eingelegt. dominik brunner unterlag wohl gleichermaßen einer fehleinschätzung der situation wie auch einer überschätzung der eigenen kampfkraft und starb in einem kampf, den er letztlich selbst provozierte und vielleicht sogar suchte - was ich ebenfalls nicht als verwerflich erkennen kann. daß er gegen zwei gegner anzutreten hatte, war ihm bekannt. im kampf zu sterben ist nicht das schlechteste, schon gar nicht für einen kampfsporterfahrenen mann. niedere beweggründe sehe ich auf seiten seiner gegner nicht. es handelte sich um eine eskalierende gewaltsituation, wie sie einem jeden von uns zu jeder stunde widerfahren kann, ohne daß wir je eine tötungsabsicht hegten. sicher müssen die jungen männer gemäß den gesetzen  verurteilt werden, das strafmaß jedoch sollte milder ausfallen.

(im september 2010)

zu sarrazin:

vorab eine einschränkung: ich habe das buch von herrn sarrazin noch nicht erstanden und kann dementsprechend nichts zur inhaltlichen bewertung beitragen - ein umstand, welchen ich im moment sicher noch mit vielen kommentatoren teile. für mich interessant ist indes die art und weise, wie die politische klasse im verein mit großen teilen der journaille auf einen der ihren einhaut und damit der bevölkerung einmal mehr ein glänzendes beispiel gibt. sloterdijk hatte recht, wenn er konstatierte, daß der deutsche - gleich ob promoviert oder nicht promoviert - nur selbstwert fühlt, wenn er andere herabsetzen kann, was im fall sarrazin wohl auf beide seiten zutrifft. deutschland ist und bleibt, was es immer war, seit kaiser und papst unter den absurdesten parolen, aber mit machtpolitischer zielsetzung in unverhohlenem haß aufeinander losgingen: das land des bis heute auch vornehmlich in den köpfen der intellektuellen latenten bürgerkrieges. wären wir im moment nicht zu satt, zu träge und zu feige, wir würden unserer verhaßten und verachteten gegner, allesamt ja immer nur moralisch und intellektuell minderwertige barbaren, nicht nur tausend erschlagen gleich saul, sondern derer zehntausend gleich david - und es würde uns genugtuung und wohlwollen bereiten, noch dem herrn danken zu dürfen ob unseres gelungenen und von ihm gesegneten tagewerks. ich bin weit davon entfernt, solches moralisch zu bewerten, aber letztlich funktioniert der politische kampf in deutschland weiterhin auf allen ebenen unter niedrigsten instinkten.

(im september 2010) 

zu den gefallenen deutschen soldaten:

man mag unterschiedlicher meinung darüber sein, ob der einsatz deutscher soldaten in afghanistan notwendig war und ist, und ob er erfolgreich abgeschlossen werden kann, aber ein jeder deutsche soldat ist soldat einer parlamentsarmee und muß dort seiner pflicht nachkommen, wo die regierung ihn mit billigung des vom deutschen volk als souverän gewählten parlamentes einsetzt. jedem deutschen staatsbürger steht der weg der wehr- und kriegsdienstverweigerung offen. alle zeit- und berufssoldaten haben neben ihrer lobenswerten verpflichtung gegenüber dem deutschen volk letztendlich auch die gefahr, im kampf- und kriegseinsatz (auch wenn dieser in afghanistan zur zeit noch nicht offiziell festgestellt wurde) an leib und leben zu schaden zu kommen, sowie die konfrontation mit gewalt und tod ertragen zu müssen, aus eigener überzeugung zum beruf gewählt. in diesem zusammenhang befremdet der mediale hype, welcher neuerdings hierzulande um traumatisierte oder gefallene soldaten auch von offizieller seite aufgezogen wird: eine emotionale selbstbeweihräucherung der deutschen betroffenheitsgesellschaft mit pathetischen, rhetorisch miserablen reden und langgezogenen trauergesichtern von politikern, welche statt zweifelhafte anteilnahme zu demonstrieren besser daran täten, endlich ein realistisches politisches und militärisches konzept für den deutschen afghanistaneinsatz vorzulegen. das laue gerede der kanzlerin und des verteidigungministers von "tiefempfundenem mitgefühl", "ernüchterung" und "fassungslosigkeit" halte ich für unerträglich. was glauben diese herrschaften denn, worauf wir uns da eingelassen haben? man hätte gut daran getan, zum thema physischer und psychischer belastung innerhalb einer eskalierenden gewaltsituation ein paar letzte noch lebende männer der von vielen mit billigen moralischen vorwürfen geschmähten wehrmachtsgeneration zu befragen. ein verteidigungsminister, der angesichts gefallener soldaten in "fassungslosigkeit" fällt, sollte das ressort wechseln oder ausscheiden.

(april 2010)

zur erfurter bluttat:

die bluttat von erfurt, ein akt der gewalt ohne ehre, hat die selbstgefällige gesellschaft aufgeschreckt und läßt die besonnenen um erklärungen ringen, derweil das politische machertum zeitgeistigem aktionismus frönt, denn die schuldigen sind allesamt schon ausgemacht: der psychopath, die waffen, die virtuellen medien. selbst der irrationale unsinn des "geborenen bösen" ist nicht zu platt, den täter geistig, seelisch und persönlichkeitsstrukturell abzuwerten - symptomatisch für eine gesellschaft, die ihre dunklen potentiale gerne in den bannkreis der abnormität und der moralischen minderqualifizierung hinabdrückt. indes haben sich nicht die waffe oder die computerwelt zur wirklichkeit gebracht, sondern der mensch in seiner negation, deren beherrschung durch permanent anwachsende bevormundung und reglementierung, durch vorschriften, gesetze und zensuren, welche ganze lebenswege determinieren, zunehmend zermürbt wird. der philosoph hegel eröffnet uns hier, fernab einfältiger moralität, einen differenzierten ansatz des verstehens: nach hegel setzt der verbrecher das besondere gegen das allgemeine der sittlichen totalität, d.h. gegen das absolute in form des rechts und bringt so die negation zur wirklichkeit. täter und gesellschaft sind dieser wirklichkeit gleichermaßen teilhaftig und beide werden gezwungen, das verleugnete eigene im anderen zu erfahren - die gesellschaft in der tat, der täter in der sanktion durch bestrafung. die strafe beinhaltet das recht des täters, als rechtsfähige persönlichkeit anerkannt und als subjekt geachtet zu werden. nimmt er die strafe (in unserem fall durch selbsttötung) an,

ist er wieder in seine ehre als vernunftwesen gesetzt.

(mai 2002)

 

zum mea culpa:

nachdem der papst bereits via cd das madiale zeitalter wahrgenommen hat, sucht die katholische kirche nun auch anschluß an die bürgerliche betroffenheitsgesellschaft und hat per outing und institutionellem kotau einmal mehr demonstriert, daß das problem der selbstkasteiung als ausdruck neubürgerlicher dekadenz selbst die verknöchertsten strukturen infiziert. so muß denn der freie geist sein haupt traurig senken und zur kenntnis nehmen, daß dieser einst so mächtige gegner in seiner mischung aus reaktion, starrsinn, ausdauer und intellekt, an welchem sich generationen politischer macht, wissenschaft und fortschritts haben beweisen müssen, um sich anerkannt und legitimiert zu wissen, zweifel und selbstzerknirschung demonstriert. also hat nietzsche recht behalten, wenn er konstatierte, daß der tote gott am mitleiden starb. doch sinnlos wie regen zur erntezeit ist die reue vor der geschichte: sie erteilt auch auf das inbrünstigste mea culpa keine absolution, denn es genügt ihr nicht, daß man sich selbst erkenne, man muß auch werden der man ist.

(april 2000)