ad hoc facts
zur "schwarmintelligenz":
die vielgerühmte sogen. "schwarmintelligenz" ist ein theorem für die katastrophenforschung, nicht für die gesellschaftspolitische meinungsbildung; zum einen, weil die menschheit in ihrer gesamtheit kein schwarm ist und auch die individuen nicht im schwarm, sondern in organisierten gruppen (deren kleinste notwendige die mutter-kind-gruppe darstellt) auftreten und handlungen vollziehen, somit sich auch eine gesellschaftliche meinungsbildung sich einerseits strukturiert und organisiert vollzieht, andererseits jedes individuum und jede gruppe notwendig interessen, ziele, meinungen, vorurteile in diesen prozeß einspeist; zum anderen, daß ein möglicher schwarmreflex keinerlei logisch-objektivierbares kriterium zur beurteilung des wahren/richtigen denk- und handlungsvollzug abgeben kann. kurzum: der mensch ist kein schwarmwesen, kein insekt, die von oberflächlichen individuen der spätkapitalistischen wohlstands- und dekadenzgesellschaften bemühte "schwarmintelligenz" endet in begriffloser kakophonie und heillosem dilettantismus.
zur "schwarmintelligenz" (II):
die von vertretern einer digitalen boheme hochgelobte "demokratisierung" der publikationsmittel durch das internet, hat bisher weder einen kulturell wirksamen "pool an kreativität" und die darauf folgende entmachtung der bildungseliten, noch einen brauchbaren prozeß "politischer gruppendynamik" zum zwecke permanenter und zielgerichteter gesellschaftlicher modifikationen hervorgebracht. daß die "menge intelligenter und effizienter als der klügste einzelne in ihren reihen entscheide", bedarf nach james surowiecki der voraussetzung, daß die gruppe "groß und vielfältig" sei, ihre mitglieder unabhängig handeln und denken und in dem bewußtsein stünden, "daß ihre meinung zählt". keine dieser voraussetzungen läßt sich gesellschaftspolitisch gewährleisten. vielmehr paßt sich das spätkapitalistische system über den markt jeder technologischen oder gruppenspezifisch-kulturellen neuheit an, greift sie auf, verallgemeinert sie und stellt sie unter den gesetzen von angebot und nachfrage den massen zum konsum anheim, derweil die politische und ökonomische entscheidungsmacht in der hand ausgewiesener vertreter des systems verbleibt. ein lob der massen und des massenhaften im digitalen verkehr als ein intelligentes, dynamisches und progressives kollektiv ist verfrüht; bisher beschränkt sich die vielgepriesene digitale egalität lediglich auf den menschen in seiner eigenschaft als konsument.
zur "liquid democracy":
neben der "schwarmintelligenz" gibt die "liquid democracy" ein derzeitiges schlagwort für politisch unbedarfte wohlstandskinder. im permanenten informationsfluß (gerne "feedback" genannt) zwischen beauftragten und fußvolk soll politik unter einer sich jeweils verändernden meinungsbildung vollziehen und so dem willen der allgemeinheit optimal entsprechen. abgesehen von organisatorischen schwierigkeiten wird in solchen liquiden prozessen bestenfalls eigene ahnungslosigkeit an andere ahnungslose und unwissende bei transparenz sämtlicher magerer inhalte und leerer ideen delegiert, schlimmstenfalls der krudeste subjektivismus zum objektiven gestimmt, prinzipienlosigkeit für pragmatismus behauptet und die diktatur der majorität als allgemeiner wille oder gar gemeinwille umgedeutet. letztlich eine herrschaftsphantasie von kleinbürgerlichen hedonisten, welche ohne sachgerechte politische bildung und betätigung macht per mouseklick ausüben wollen - selbstredend ohne zeit- und kostspieligen einsatz oder gar gefahr für leib und leben.
zur "digitalisierung":
sascha lobo stellt die fortschreibung und ausbreitung der digitalisierung unter zunehmenden verlusten des analogen fest: durch vermehrung digitalisierter produkte, die permanent aktuallisierte digitale vernetzung, informationsbeschleunigung durch soziale netzwerke, schnellere durchsetzung neuer sozialer standarts. indes ist das net weiterhin nur ein werkzeug, eine möglichkeit, lediglich ein hilfsmittel der vermittlung, welches nicht aus sich selbst heraus postuliert und mobilisiert, sondern dessen sich interessengruppen, provider und einzelne idividuen bemächtigen, um auf die gesellschaft einfluß zu nehmen (astrid herbold). seine individuelle nutzung tendiert zu subjektivismus, selbstdarstellung und beliebigkeit, seine freiheit ist eine bindungslose virtuelle erlebnisfreiheit ohne sinnvolle rückkoppelung zur formal und praktisch eingeschränkten freiheit im gesellschaftlichen raum - wo freiheit eingeschränkt oder ausgeweitet wird, bestimmen nach wie vor gesetzgeber und provider, mithin politische kräfte außerhalb der temporär begrenzten schwarmbildungen des netzes. seine öffentliche und politische nutzung tendiert zum "ideenpolitischen opportinismus", in welchem unter schlagworten statt durchdachten begriffen eine "zeitweise konstruktion von erfahrungs- und kommunikationsgemeinschaften" ohne tiefere politische "urteilsfähigkeit oder sprachkompetenz" mit dem ziel medialer öffentlicher zustimmung erzielt werden soll (georg kamphausen). im hintergrund schwingt die hoffnung interessegeleiteter gruppierungen, über permanente meinungswiederholung deutungshoheit und über die konstruktion einer wortwirklichkeit einfluß auf die realität zu gewinnen (arnold gehlen).
zu "anonymous":
scheinanarchistische geheimgruppen wie "anonymous" berauschen z.z. die phantasie von weltfremden nerds und halbstarken politikresistenten bürgerskinder, welche davon träumen über spielereien im netz das kapitalistische system aushebeln, die gesellschaft dauerhaft manipulieren und die staatsmacht zielsicher aushöhlen zu können. hackergruppen wie "anonymous" gleichen durchaus geheimbünden und femegerichten: sie sind ankläger, richter und vollstrecker in einer person, mißachten die spielregeln von politik und gesellschaftlicher meinungsbildung nebst datenschutzregeln, betreiben eine selbstermächtigte und selbstgerechte aushöhlung rechtsstaatlicher prinzipien, bauen mithilfe mafioser strukturen eine vordergründig öffentlichkeitswirksame drohkulisse zum zwecke der verunsicherung der gesellschaft und der verbreitung von angst gegenüber den von ihnen willkürlich festgestellten feinden derselben fest. mit moralischem habitus wird das partikulare interesse zum angeblichen allgemeinen erhoben, obgleich sich selbst dieses partikulare beständig wandelt, kaum verbindlich festgestellt werden kann und somit keinerlei legitimatorischen beschlußweg vorzuweisen hat. die willkürliche feindbestimmung impliziert die gefahr falscher zielobjekte, zeitigt einen schnellen kontrollverlust und führt u.u. zu ebenso unkontrollierbaren reaktionen der angegriffenen (bsp. zeta). bisher haben die hinter gesichtsmasken versteckten aktivisten von "anonymous" indes nur geringen privatwirtschaftlichen und im grunde noch keinerlei nennenswerten gesellschaftlichen schaden anrichten können - eine wirksame und dauerhafte herausforderung der staatsmacht scheint ohne politische massenbasis und bei altbackener geheimbündelei ohnehin aussichtslos.
zum stand der "aufkärung" in der postmoderne:
die neuzeitliche aufklärung - von habermas korrekt als ein weiterhin "unvollendetes projekt der moderne" bezeichnet - endete unter den bedingungen der postmoderne vorläufig im wissenschaftlich, politischen, gesellschaftlichen und moralisch wertfreien relativismus, im selbstzweifel der westlichen welt, in der selbstzerknirschung der intellektuellen, der selbstdemontage der technisch-rationalen eliten, der selbstzerfleischung der politisch verantwortlichen, der selbstgerechtigkeit einer masse von ignoranten und unbeteiligten. die westlichen wohlstandsgesellschaften geben sich politisch unentschieden, ignorant, zaghaft und unentschlossen, feige und schreckhaft entbehren sie jeglicher übergeordneter idee und sind ohne jede bereitschaft zu eigenen opfern; ihr weltweiter moralischer bankrott und ihre weinerliche historisch-politische selbstdemontage, welche in ihrer dekadenz und schwäche dennoch zur primitiven verrohung neigt, sowie ihre technik- und vernunftskepsis stärken den demographisch aufstrebenden globalen irrationalismus und leiten nebenbei auch die durchaus verdiente selbstkompostierung einstiger eliten der leistungsgesellschaft ein, welche zur kriminellen beutegemeinschaft verkommen sind. nach jahrzehnten des friedens und des wohlstandes ist die politik des westens selbstgefällig, selbstgerecht und selbstbezogen, rechthaberisch und moralgesäuert, verlogen und heuchlerisch, ohne erkennbare übergeordnete und dauerhafte zielsetzung außer der eigenen schamlosen, u.u. gewaltsam und brutal durchgesetzten bereicherung; seine ökonomie propagiert statt verantwortung und nachhaltigkeit eine ausbeuterische selbstoptimierung des individuums und einen rücksichtslosen verzehr der planetaren ressourcen; seine wissenschaft ist zum selbstreferentiellen system ohne gesellschaftlichen mehrwert herabgesunken, zum knecht ökonomischer optimierung ohne wirkliche technisch-rationale kühnheit; sein bildungssystem ist doktrinär, mutlos und unflexibel, gehorcht bornierten ideologien und verkommt zum handlanger und zur rekrutierungsanstalt der privatwirtschaft; seine künstlerischen und kulturellen ausflüsse sind nicht mehr vermittelbar, niveaulos und auf billigste weise arrogant; sein vielgerühmter individualismus, die angebliche selbstverwirklichung und unabhängigkeit der persönlichkeit, seine karrieren und selbstbefreiungen endeten im konsum des einheitlichen und bereichern lediglich die spätkapitalistischen shareholder, banken und discounter. kurzum: das projekt der aufklärung befindet sich auf dem rückzug; unser unvermögen und unsere verzagtheit, selbstfixiertheit und mutlosigkeit, mangelnde kampf- und opferbereitschaft, geiz und habgier haben uns abgestumpft ud entnervt.